Die USA haben der Ukraine heimlich ATACMS-Kurzstreckenraketen zur Verfügung gestellt, die möglicherweise Ziele in einer Entfernung von bis zu 300 Kilometern erreichen können. Sie seien „in diesem Monat“ in der Ukraine angekommen, bestätigte das US-Verteidigungsministerium am Mittwoch. Bereits im September letzten Jahres lieferte die USA ihre ATACMS-Raketen an die Ukraine, die die Armee im Oktober einsetzte. Damals handelte es sich um Modelle, die Ziele in einer Entfernung von rund 165 Kilometern erreichen konnten.
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Ob es sich nun um die Ausführung mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern handelt, ist noch unklar. Damit würden die USA noch einen Schritt weiter gehen, als es der Westen bislang getan hat: Keine der bekannten gelieferten Waffen hätte eine solch hohe Reichweite wie die ATACMS-Raketen. Die bislang höchste Reichweite des ukrainischen Militärs hat der britisch-französischen Marschflugkörper Storm Shadow bzw. Scalp mit rund 250 Kilometern. Weitere ATACMS sollen übereinstimmenden Medienberichten zufolge auch in dem am Mittwoch von US-Präsident Joe Biden angekündigten Militärpaket enthalten sein. Auch hier ist die Reichweite noch unklar.
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Die kürzlich gelieferten ATACMS-Raketen sollen laut übereinstimmenden US-Medienberichten schon zum Einsatz gekommen sein: bei einem ukrainischen Angriff auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim vergangene Woche, und vor wenigen Tagen bei einem Angriff auf die besetzte Stadt Berdjansk im Südosten der Ukraine.
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Was kann ATACMS?
ATACMS-Raketen (Army Tactical Missile System) sind ballistische Kurzstreckenraketen des US-Rüstungskonzerns Lockheed Martin, die es in mehreren Ausführungen mit unterschiedlichen Reichweiten gibt. 300 Kilometer sind das Maximum. Sie werden vom Boden auf Ziele am Boden abgefeuert. Abgeschossen werden ATACMS unter anderem von den Artilleriesystemen Himars und M270 – beide hat die Ukraine. Normale Himars-Munition hat nur einen Aktionsradius von 80 Kilometern.
Die höhere Reichweite der ATACMS im Vergleich zu allem, was der Ukraine bislang geliefert wurde, wäre nicht der einzige Vorteil: Die Flugzeit ist deutlich geringer. Während Storm Shadows rund 15 Minuten bis ans Ziel brauchen, benötigen ATACMS weniger als fünf Minuten. So können mobile Ziele mit einer höheren Erfolgswahrscheinlichkeit angegriffen werden.
Nach US-Hilfspaket: Was die Ukraine jetzt braucht, um die Wende im Krieg herbeizuführen
Nach monatelangem Hin und Her haben die USA ein Hilfspaket für Kiew im Wert von rund 61 Milliarden US-Dollar auf den Weg gebracht. Doch um eine Wende im Abwehrkrieg gegen Russland herbeizuführen, bräuchte die Ukraine mehr, erklärt der Militärexperte Gustav Gressel und zählt auf, was das ist.
Doch eine „Wunderwaffe“ ist die ATACMS-Rakete nicht, betonte auch der Nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, am Mittwoch erneut. Zwar erschwert das kurze Zeitfenster von fünf Minuten die Abwehr, jedoch fliegen die Raketen sehr hoch und können leicht vom Radar des Gegners erfasst werden. Gegen Flugabwehrraketen haben ATACMS geringere Chancen als beispielsweise die Storm Shadows.
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ATACMS werden mit Streumunition bestückt. Das bedeutet, dass die Rakete in der Luft über dem Ziel berstet und viele kleine Sprengkörper verteilt. Streumunition ist vor allem umstritten und auch völkerrechtlich geächtet, weil ein erheblicher Teil davon nicht detoniert, sondern als Blindgänger liegen bleibt. Damit besteht über viele Jahre hinweg Gefahr, dass die Sprengkörper detonieren.
ATACMS-Raketen werden nicht nur mit den Shadows verglichen, sondern auch mit den deutschen Taurus-Marschflugkörpern, weshalb der Druck auf die Bundesregierung und Kanzler Olaf Scholz nun wieder wächst. Scholz hatte eine Taurus-Lieferung an die Ukraine bislang stets abgelehnt, da die Ukraine die Marschflugkörper auch für Angriffe tief im russischen Kernland nutzen könnte.
Und der Kanzler bekräftigte sein Nein am Mittwoch erneut, auch wenn die USA ihre ATACMS-Raketen mit einer Reichweite von 300 Kilometern liefern sollten. Was Taurus betreffe, „wird sich meine Entscheidung nicht ändern“. Seine Entscheidung sei sehr klar, was das eine Waffensystem betreffe. „Meine Entscheidung ist aber auch klar, dass wir weiter der größte Unterstützer der Ukraine in Europa sein werden, dass wir weiter mit Großbritannien die beiden sein werden, die das meiste tun“, sagte Scholz.
Neue Militärhilfe für die Ukraine von Biden angekündigt
Monatelang gab es keine zusätzlichen US-Hilfen für die Ukraine mehr. Nach der Freigabe neuer Mittel durch den Kongress soll es jetzt ganz schnell gehen.
Quelle: dpa
Strack-Zimmermann erneuert Forderung nach Taurus-Lieferung
Die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, erneuerte ihre Forderung, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu liefern. „Der Kanzler hat immer versichert, dass er sich an den Vereinigten Staaten orientiert. Die USA werden jetzt ATACMS-Raketen an die Ukraine liefern. Das ist Grund und Pflicht genug, jetzt auch in Sachen Taurus zu handeln“, sagte die FDP-Politikerin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) am Donnerstag.
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Scholz hatte sich bisher bei der Lieferung von Waffensystemen neuer Qualität stets an den USA orientiert. Das war bei der Bereitstellung weitreichender Artillerie so und auch bei den Leopard-2-Panzern, die erst in die Ukraine geschickt wurden, nachdem sich die USA zur Lieferung ihrer Abrams-Panzer bereiterklärt hatten.
Die Debatte um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern dürfte aufgrund der ATACMS-Lieferung der USA also erneut Fahrt aufnehmen. Jedoch gibt es einige Unterschiede zwischen den beiden Waffensystemen.
Wie unterscheiden sich Taurus und ATACMS?
Der Taurus ist wie der Storm Shadow ein Marschflugkörper, der von Kampfjets auf Ziele am Boden abgeschossen wird. Die Reichweite mit maximal 500 Kilometern noch einmal deutlich höher als bei den ATACMS. Zudem kann Taurus in niedriger Höhe fliegen und so Radarsystemen ausweichen. Die Waffe gilt als sehr treffsicher und findet aufgrund vier verschiedener Navigationssysteme ihr Ziel selbständig. Anschließend geht sie in einen Steilflug über und schlägt im senkrechten Sturzflug in ihr Ziel ein. Mit knapp 400 Kilogramm Sprengstoff beladen hat sie eine Durchschlagskraft, die auch mehrere Stockwerke tiefe Bunker brechen kann.
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Taurus ist ein Akronym und steht für „Target Adaptive Unitary and Dispenser Robotic Ubiquity System“. Der Marschflugkörper wurde seit dem Ende der 1990er-Jahre von Deutschland und Schweden gemeinsam entwickelt und wird vom Unternehmen Taurus Systems, einer Tochtergesellschaft des europäischen Rüstungsherstellers MBDA, im bayerischen Schrobenhausen hergestellt.
Die Bundeswehr besitzt seit 2005 Taurus-Marschflugkörper. Damals wurden 600 Stück zum Stückpreis von knapp einer Million Euro erworben. Es ist unklar, wie viele aktuell noch einsatzbereit sind, aber Expertinnen und Experten schätzen die Zahl auf etwa 300. Zuletzt hieß es, dass die übrigen Taurus nun wieder einsatzbereit gemacht werden sollen.
Mit Agenturmaterial.