Gleich bei einem seiner ersten Auftritte im Arsenal-Dress lief es für Kai Havertz nicht gerade rund. Im Rahmen der US-Tour der „Gunners“ nahm der DFB-Star Ende Juli als Gast an der sogenannten „Skills Challenge“ der nordamerikanischen Profiliga MLS teil. Bei der „Cross- und Volley-Challenge“, in der es galt, Flanken per Direktabnahme zu verwerten, versemmelte Havertz Schuss um Schuss. In 14 Versuchen traf der Offensivspieler nicht einmal das Tor – als erster Spieler in der Geschichte des Wettbewerbs. Ein denkbar ungünstiger Start für Havertz, der auch zu Saisonbeginn in England nicht glänzen konnte. Erst im neunten Pflichtspiel Ende September gelang ihm sein Premierentreffer für Arsenal. Kurz zuvor hatten Spielerberater den 24-Jährigen beim Portal The Athletic in einer anonymen Abstimmung zum schlechtesten Deal des Sommers gewählt.
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In diesem Voting würde er mittlerweile wahrscheinlich nicht mal mehr zu Wahl stehen, denn die Arsenal-Karriere des für umgerechnet 75 Millionen Euro vom Stadtrivalen FC Chelsea verpflichteten deutschen Nationalspielers nahm seit Jahresbeginn Fahrt auf. Am Dienstagabend erzielte er seinen ersten Doppelpack im Trikot der Gunners – ausgerechnet im Derby gegen seinen Ex-Klub. Nach den großen Anlaufproblemen hat der Offensivspieler endlich seinen Platz im System von Trainer Mikel Arteta gefunden, ist mittlerweile zweitbester Torschütze im Team mit elf Liga-Treffern. „Er ist ein Vorbild für uns alle, was man tun muss, wenn man Schwierigkeiten hat“, lobte der Spanier seinen Star, als dieser im Februar begann, sich mehr und mehr freizuschwimmen. Und sein Mitspieler Ben White schwärmte: „Wie gut er ist, merkt man erst, wenn man mit ihm spielt.“
Havertz über Fankritik: „Mir ist es nah gegangen“
Doch wie wurde Havertz wieder zu dem Topspieler, für dessen Dienste Chelsea im Sommer 2020 bereit war, 80 Millionen Euro an Jugendklub Bayer Leverkusen zu zahlen und der nun auch zu den großen deutschen EM-Hoffnungen zählt? Die Antwort: Viel Arbeit. „Ich bin jemand, der sich selbst einen hohen Anspruch stellt“, erklärte der Profi Ende Januar im Podcast Copa TS. Nachdem er bei den „Blues“ meist als Mittelstürmer eingesetzt wurde, kommt er bei seinem neuen Klub nun immer wieder aus der zweiten Reihe und findet sich in dieser Rolle immer besser zurecht: „Mein Spiel hat sich generell entwickelt. Ich bin keiner, der 90 Minuten nur in der Box wartet, um ein Tor zu machen.“
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Und so wandelte Havertz auch die viele negative Energie, die ihm bei Arsenal von Fans und Experten entgegenströmte, einfach in positive um – auch, wenn es ihm schwer fiel. „Es ist nicht einfach, wenn so viele Leute negativ über dich reden“, erinnerte sich der 42-malige Nationalspieler an die schwere Anfangszeit zurück: „Mir ist es nah gegangen. Du gehst zu einem neuen Verein und willst es allen recht machen und merkst dann: Da kommt krasser Gegenwind.“ Doch Havertz blieb in diesem Sturm standhaft.
„60 million down the drain – Kai Havertz scores again“
Statt Hohn und Spott bringen die Fans von Arsenal ihm jetzt Verehrung entgegen und nehmen sich mit der typisch englischen Portion Humor selbst auf die Schippe. Mittlerweile schallt es zur Melodie von Shakiras WM-Hit „Waka Waka“ jedes Mal, wenn Havertz trifft „60 million down the drain – Kai Havertz scores again“ (dt.: „60 Millionen zum Fenster rausgeworfen – Kai Havertz trifft wieder“). Eine ironische Anspielung auf die angeblich viel zu hohe Ablöse, die ihm im Herbst das fragwürdige Abstimmungsergebnis eingebracht hatte.
„Ich mag den Song, ich mag die Melodie. Also für mich gibt es da nichts dran auszusetzen“, sagte Havertz in einem Sky-Interview über den Gesang. „Das ein oder andere Mal ist das schon passiert, dass, wenn jemand ein Tor gemacht hat, dass man dann in der Kabine den Song anmacht“, berichtete er und sprach von einem „coolen Gefühl“.
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Havertz definiert sich nicht über Torbeteiligungen
Trotz seines Aufschwungs definiert er sich der gebürtige Aachener nicht mehr ausschließlich über Tore und Vorlagen. Vielmehr stellt sich Havertz als meist zentraler Anspielpartner im Mittelfeld in den Dienst der Mannschaft. „Ich liebe ihn“, sagte Arteta zuletzt im Rahmen einer Pressekonferenz und schwärmte davon, wie sein Spieler den Strafraum verteidigt und gegen den Ball arbeitet. Havertz sei „immer eine Gefahr für den Gegner. Das mag ich sehr.“
Und Havertz will mehr: „Mit der Mannschaft, die wir haben und dem Geld, das der Verein im Sommer für neue Spieler ausgegeben hat, zeigt das schon, dass wir Titel gewinnen wollen“, erklärte der variabel einsetzbare Spieler. Zwar wird es mit dem Gewinn der Champions League, die Havertz 2021 als Siegtorschütze im Finale für Chelsea schon einmal gewonnen hat, in diesem Jahr nach dem Aus gegen Bayern nichts mehr. Doch in der Premier League ist Arsenal mittendrin im Titelkampf – auch dank der immer weiter aufsteigenden Formkurve von Havertz.